Texte im Prog

Beschäftigt man sich mit Texten im Prog-Bereich fällt auf, daß diese häufig einen mythischen Charakter aufweisen, der in sehr unterschiedlichen Ausprägungen auftritt. Offensichtlich werden die Stimmungen, welche in komplexen Prog Werken musikalisch erzeugt werden, von deren Komponisten in starker Weise mit Mythen und Legenden assoziiert. Das Spektrum reicht dabei von einfachen Nacherzählungen oder Abwandlungen klassischer literarischer Werke aus den Bereichen Science Fiction bzw. Fantasy bis hin zu sehr abstrakten Beschreibungen von Ausprägungen der menschlichen Psyche. Im Bereich Fantasy hat vor allem Tolkiens "Herr der Ringe" offenbar einen tiefen Eindruck hinterlassen. Wohl kaum ein Begriff aus dieser hervorragenden Erzählung ist noch nicht als Gruppenname oder Songtitel in einem Progwerk aufgetaucht.

Die für den klassischen Prog typische Vielfalt und der häufige Wechsel von ungewöhnlichen, vom Hörer als intensiv empfundenen Stimmungen bietet sich förmlich an, als Programmusik für absonderliche Geschichten eingesetzt zu werden. Gerade dadurch bekommen derartige Werke allerdings häufig einen etwas kitschig-pompösen Beigeschmack, der mitunter unerträglich werden kann, wenn der bombastische, tief ernsthaft gemeinte Pathos mit primitivsten literarischen Mitteln realisiert wird.

Die Schöpfer derart zweifelhafter Werke haben hier allerdings den Vorteil, daß der Großteil der Prog-Hörer, mich eingeschlossen, Songtexte in erster Linie assoziativ wahrnimmt. Wichtig für die Rezeption ist dabei nur sekundär ein logisch, bzw. ästhetisch konsistenter Zusammenhang der textlichen Aussage, bzw. Handlung, als vielmehr die zeitnahe Kopplung bestimmter Reizvokabeln mit entsprechenden musikalischen Wendungen, welche die textliche Aussage emotional zu unterstreichen vermögen.

Gerade darin liegt meiner Meinung nach auch die große, leider nur relativ selten genutzte Chance des Prog, nämlich die musikalische Umsetzung von abstrakter, experimenteller Lyrik. Durch die Kombination mit komplexer Musik sind selbst sehr schwierige Texte für den Hörer ohne Anstrengung zu konsumieren, falls ihm die Musik gefällt. Während dem mehrmaligem Hören der Musik kann dann eine allmähliche Heranführung an das literarische Material erfolgen, die dem Hörer bei der "trockenen" Rezeption des Textes mit hoher Wahrscheinlichkeit verwehrt geblieben wäre. Wechselseitig können dabei die Musik und die textliche Aussage, durch deren jeweils gegenseitig emotional unterstreichende Wirkung, die Aussagekraft beider Elemente verstärken.

Als sehr positives Beispiel möchte ich an dieser Stelle Jethro Tulls "Thick as a Brick" nennen. Ian Anderson ist hier eine sehr gut gelungene Komination von erzählenden, ironisch humorvollen, sehr lyrischen und experimentellen Textformen gelungen, die sich gleichzeitig nicht so bierernst nimmt (was im übrigen der gesamten Prog-Szene nicht schlecht anstehen würde).